Traum Prüfung Versagen

Das Wichtigste zuerst: der Traum vom Versagen bedeutet nicht, dass dein Unterbewusstsein davon überzeugt ist, dass du die Prüfung nicht schaffen wirst. Insbesondere unmittelbar vor einer Prüfung kann ein derartiger Traum auftreten. Er beweist, dass es dir wichtig ist, die Prüfung zu meistern und sich auch dein Unterbewusstsein mit dem Thema auseinandersetzt. Oft wird vergessen, mit welchem archaischen Konzept die Prüfung auch sehr viel Ähnlichkeit hat: dem Initiationsritus.

Leistungsdruck und die Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen sind ein zentraler Bestandteil des Lebens. Immer wieder werden wir im Leben geprüft, getestet und an die Grenzen unserer Komfortzone geführt. Das Unterbewusstsein erkennt keinen Unterschied darin, ob wir uns das Ziel der Prüfung selbst gesetzt haben oder es eine Anforderung ist, die von einer anderen Autorität an uns gestellt wird. Es geht um einen wichtigen Schritt in einer Kette von vielen die auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel liegen. Manche Hürden und Prüfungen können wir umgehen, manche erfordern zwingend ihre Bewältigung. Ohne Sicherheitscheck gelange ich nicht ins Flugzeug, ohne makelloses Führungszeugnis bekomme ich nicht den ersehnten Job und ohne abgeschlossenes Medizinstudium darf (und sollte) ich nicht komplizierte Operationen durchführen. Prüfungen sind sinnvoll, um sicherzustellen, dass man den späteren Aufgaben tatsächlich gewachsen ist. Manchmal sind bestimmte Prüfungen aber auch nur Durchgangsstationen, deren Sinn sich uns zunächst nicht erschliesst, trotzdem liegen sie auf unserem Weg und wollen gemeistert werden.

Den Erfolg einer Prüfung haben wir durch fleissiges Üben, Lernen und gute Vorbereitung teilweise selbst in der Hand. Teilweise, insbesondere bei sehr anspruchsvollen Themengebieten oder Wissenschaften, hängt der Erfolg auch von der zufälligen Auswahl des Prüfers und/oder den Vorurteilen des Prüfers gegenüber dem Prüfling ab. Meistens fehlt kurz vorher die Zeit, um sich das erforderliche umfangreiche Wissen noch rechtzeitig anzueignen. Prüfungen sind nicht zwingend fair, die Chancen auf eine gute Note oder das Bestehen hängen manchmal von mehr Faktoren ab als lediglich die Arbeit und Intelligenz des Prüflings. Bei praktischen Prüfungen kommt es immer wieder zu unerwarteten Situationen. Auch hierbei wird vom Prüfling erwartet, dass er diese in seiner Vorbereitung eingepreist hat und die Situation trotzdem noch unter Kontrolle hat.

Der Initiationsritus
Bei der Initation geht es in den alten Mysterien-Schulen um die Einweihung in ein Geheimwissen und um die Aufnahme in einen Priester- oder Mysterien-Orden. Man wird gleichberechtigtes Mitglied einer sozialen Gruppe oder Geheimgesellschaft. Initiationen sind aber auch fest in unserem genetischen Erbe verankert und Teil des Erwachsenwerdens. Als Kind bin ich noch auf die Versorgung und Leitung der Eltern angewiesen, weil die notwendigen Erfahrungen und die Fähigkeiten zum Überleben in der Welt noch nicht genug entwickelt sind. Mit zunehmender Reife kommt jedoch irgendwann der Punkt, an dem sich die oder der Heranwachsende mit den Aufgaben und Herausforderungen der Welt der Erwachsenen auseinandersetzen muss. Um bei älteren oder gleichaltrigen Kindern anerkannt zu werden, werden vom Anwärter kleine Mutproben erwartet, die Überwindungskraft und Fähigkeiten herausfordern. Die wichtigste Initiation findet meistens in der Pubertät statt, wo sich die junge Frau oder der junge Mann von den schützenden Regeln und Geboten der Eltern teilweise abnabeln muss. Aufgrund der unterschiedlichen Werte-Erziehung der Eltern führt dies oft zu Eltern-Kind-Konflikten, die aber eine wichtige Erfahrung sein können. Rebelliert der junge Erwachsene gegen bestimmte Regeln, stellt er damit unter Beweis, dass er bereit ist, selbst die Konsequenzen für seine Entscheidungen zu übernehmen. In dieser Freiheit erlebt sie oder er vielleicht neue angenehme Erfahrungen, den ersten Rausch, Kuss oder einfach die Freiheit, an einem besonderen verbotenen Ort zu sein. Die Freiheit verhindert aber auch den schützenden Einfluss der elterlichen Obhut, was von Schmerz, Prügelleien oder sogar kleineren Unfällen begleitet werden kann. Je besser die Eltern das Kind auf den Ernst des Lebens und die kommenden Gefahren vorbereitet haben, desto besser kann der junge Erwachsene mit der Verantwortung der Freiheit später umgehen.

Natürlich kann das Erwachsenwerden auch völlig im Einklang mit den Erwartungshaltung der Eltern einhergehen, oft gibt es aber besondere Vorlieben, Fähigkeiten und Talente, die der junge Erwachsene in sich erkannt hat und nur dadurch zum Ausdruck bringen kann, wenn er sich auf diese persönlichen Präferenzen konzentriert.

Stammesriten besitzen oft für westliche Verständnisse barbarische Initiationsriten: gefährliche Sprünge, schmerzhaftes Erdulden von Tattoos oder anderen kleineren bewusst herbeigeführten Verletzungen. Erst wenn sich die oder der junge Erwachsene diesen Prüfungen erfolgreich unterworfen hat, gilt er als vollwertige Frau oder Mann, Schamanin, Seherin oder Krieger.

3 Aspekte sind bei einer Initiation oder Prüfung bedeutsam:

1) Überwinden von Angst
2) Beweis einer besonderen Leistung oder Fähigkeit
3) Die Bereitschaft, sich der Prüfung zu stellen, mit dem Ziel der Anerkennung einer Gruppe (oder dem eigenen Anspruch)

Punkt 3) wird hier oft unterschätzt und schliesst auch einen Gehorsamsbeweis und die Unterordnung und Anerkennung einer Autorität mit ein. Es spielt hier keine Rolle, ob die Prüfungsleistung darin besteht, einen komplizierten mathematischen Beweis herzuleiten oder ein Kaninchen zu fangen. Der Prüfling muss in jedem Fall 1) Angst überwinden, 2) erfolgreich eine Aufgabe meistern und 3) sich dabei den Regeln und Rahmenbedingungen freiwillig unterordnen.

Der Traum

Im Traum vom Versagen werden wir mit dem Scheitern der Aufgabe unmittelbar konfrontiert. Wir erleben die volle Breitseite der Gefühle, wenn wir an der Aufgabe scheitern. Ohne die Möglichkeit des Versagens oder Scheiterns macht die Schwelle einer Prüfung wenig Sinn. Wenn wir scheitern beweißt dies, dass wir vielleicht noch nicht bereit sind, noch größere Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Bei einer Prüfung gibt es zunächst nur einen Leittragenden, den Prüfling selbst, der sich mit seinem Versagen auseinandersetzen muss. Besteht er die Prüfung trotz mangelnden Wissens oder Vorbereitung, begeht er vielleicht in der Praxis einen Fehler, bei dem unwiederbringliche schlimme Folgen entstehen, z.B. ein Kunstfehler bei einer Operation, das Löschen wichtiger Daten in einer kritischen IT-Infrastruktur, eine falsche Beratung oder Diagnosen.

Das Scheitern einer Prüfung ist nicht unbedingt das Ende. Die meisten Prüfungen lassen sich wiederholen, im zweiten Anlauf meistens sogar nahezu mühelos.

Was aber, wenn der Träumende gerade gar nicht vor einer Prüfung steht? Das Unterbewusstsein erkennt in den Umständen der Lebenssituation eine Schwelle, eine Hürde, die überwunden werden muss. Dabei kann es sich um tatsächliche gesteigerte Verantwortungen und Herausforderungen handeln, aber auch um innere Blockaden und Ängste, die überwunden werden wollen. Wir stehen am Rand unserer Komfortzone und wissen noch nicht, was uns dahinter erwartet. Es ist ein positives Zeichen der Weiterentwicklung, der erkannten neuen Chancen und inneren Möglichkeiten. Neue Fähigkeiten wachsen in uns heran und warten darauf, sich ausdrücken zu können.

Der Traum von einer Prüfung und dem Versagen darin kann uns mit einer oder mehreren Herausforderungen konfrontieren: 1) haben wir den erforderlichen Mut, 2) sind unsere Fähigkeiten ausreichend entwickelt und (vielleicht der wichtigste Punkt) 3) sind wir überhaupt schon bereit, uns dieser Aufgabe zu stellen?. Möglicherweise besteht unsere Prüfung gerade darin, sich ihr eben gerade nicht zu unterwerfen sondern einen ganz anderen Weg zu gehen, der viel besser zu uns passt.

Wie bei jeder Traumdeutung kommt es auf den Inhalt des Traumkontextes an. Welche Personen sind in der Prüfung anwesend? Ist diese Kombination realistisch oder drücken sich hier ganz andere Aspekte aus? Ist die Prüfungssituation tatsächlich unlösbar oder würden wir im Wachzustand mit der Aufgabe normalerweise spielend klarkommen? Vielleicht geht es dann mehr um die erlebte Angst und die Verarbeitung damit und weniger um unsere Fähigkeit.

Natürlich kann hier nicht auf alle Situationen des Traums vom Prüfungsversagen eingegangen werden. Die zentrale Frage ist: was ist die größte Herausforderung im Zusammenhang mit der Prüfungssituation? Geht es um mein Selbstbewusstsein, meine Willenskraft oder um andere Menschen und deren Erwartungshaltung an mich? Was unterscheidet die aktuelle Situation von bereits gemeisterten Aufgaben und Prüfungen? Geht es überhaupt um eine Prüfung oder eher um die persönlichen Ziele und die Weichenstellung im Leben?

Bei einer eingehenderen und tieferen Analyse des Traums kommen oft ganz andere Erkenntnisse ans Tageslicht, die weniger mit Prüfungsangst als mit der Auseinandersetzung der eigenen Identität und Entwicklung zu tun haben. Was sind meine wahren Ziele und tue ich wirklich alles, um fokussiert darauf hinzuarbeiten? Oder sind meine momentanen Ziele fremdbestimmt und mir fehlt lediglich der Mut, meiner wahren Bestimmung zu folgen?

Die Prüfungssituation ist immer der Rand unserer Komfortzone und nicht jede Prüfung oder Aufgabe muss von uns auch gemeistert werden. Oft besteht die Prüfung bereits im Erleben der Prüfungssituation selbst. Da das Leben voller kleiner Prüfungen ist konfrontiert uns unser Unterbewusstsein bereits im Traum mit dieser Situation. Anstatt den Traum bestmöglich zu ignorieren, nimm dir gerne etwas Zeit, um über die Gefühle und Absichten hinter diesem Traum nachzudenken und zu reflektieren. Er ist aus dieser Perspektive ein Geschenk, da er dich wie in einer Zeitmaschine bereits heute mit dem Erlebnis konfrontiert, und zwar auch mit einem möglichen negativen Ausgang.

Der Traum selbst hat gar keine unmittelbaren Konsequenzen. Er hilft dir aber, diese Gefühle zu verarbeiten und noch sicherer und besser vorbereitet in dieses Initiationserlebnis hineinzugehen. Du wirst eine mögliche Enttäuschung besser verarbeiten können. Im Falle des Bestehens der Prüfung wirst du dich aber noch mehr über den Erfolg freuen. Das Wichtigste dabei ist vielleicht, dass dir bewusst wird, warum du dich überhaupt der Situation stellen willst.