Ragnarök – nordisches Armageddon

Um die Qualität von Ragnarök als Weltuntergangs-Mythos zu umreißen, wähle ich einen ungewöhnlichen Einstieg. Als Kind liebte ich Klemmbausteine. Allerdings baute ich nur einmal genau nach Anleitung, danach zerstörte ich das Auto, Raumschiff oder andere Spielgerät, um aus den Teilen etwas aus meiner eigenen Phantasie bauen zu können. Das alte Objekt musste zerlegt werden, damit etwas Neues anstehen konnte – Transformation.

Bei Ragnarök kämpfen die Götter mit den verfeindeten Riesen. Es geht um den ewigen Konflikt zwischen den Kräften der Ordnung (Götter) und des Chaos (Riesen). Zuerst waren Historiker der Meinung, dass die nordische Mythologie bei Ragnarök Teile vom christlichen Mythos übernommen hat. Heute wissen wir, dass die nordische Mythologie tatsächlich ihren ganz eigenen Mythos hat, trotz der zahlreichen Parallelen.

Sowohl in der christlichen als auch in der nordischen Weltuntergangs-Mythologie kämpfen die Mächte des Guten gegen das Böse. Beide Mythologien werden von Vorzeichen in Form von Naturkatastrophen wie Erdbeben, ungewöhnlichen Himmelsphänomenen, Stürmen und gewaltigen Unwettern angekündigt. Es gibt Überschwemmungen und der Grossteil der lebenden Menschheit muss sterben. Danach beginn eine art goldenes Zeitalter in dem wenige Auserwählte eine neue Ordnung aus den Trümmern der alten Welt wieder aufbauen. Doch es gibt einen grossen Unterschied zwischen dem christlichen Armageddon und dem Ragnaräk der Edda. In der christlichen Mythologie siegt das Gute und das Böse (Der Teufel und seine Dämonen) wird für immer vernichtet oder gebunden. Bei Ragnaräk heben sich die Mächte des Chaos und der Ordnung gegenseitig auf. Das ist ein entscheidender Unterschied. Nur bei Ragnarök sind die Verhältnisse wieder ausgeglichen, das weitere Schicksal der Götter und Menschen ist völlig unklar.

Tatsächlich Sterben bei Ragnarök auch die beliebten Götter. Thor besieht zwar die Midgard-Schlange, die aus dem Meer steigt und an Land grosse Verwüstungen anrichtet, allerdings erliegt Thor wenige Augenblicke später dem Gift-Atem des sterbenden Ungeheuers. Der mächtige Fenris-Wolf kann sich bei einem Erdbeben von seiner Fessel befreien und verschlingt den mächtigen Gott Odin, wird daraufhin aber von einem seiner Söhne (Víðarr) gerächt, der ihm sein Schwert in den Schlund hineintreibt und so tötet. Der Gott Freyr kämpft mit dem Feuerriesen Surtur und erliegt im Kampf.

Die Welt versinkt in Feuer, Überschwemmungen, Erdbeben und anderen Katastrophen. Die Sterne fallen vom Himmel, die Midgard-Schlange verseucht die Welt mit seinem giftigen Atem. Nur ein Menschenpaar, Lif und Lifprasir überleben und werden den Anfang einer neuen Menschheit bilden. Die Götter Baldur und Hödur entkommen aus der Unterwelt, da die Verbindung zur Oberwelt nicht mehr bewacht wird. Was mit dem Weltenraum Yggdrasil an Ragnarök passiert, ist nicht überliefert.

Ragnarök bildet sowohl das Ende als auch den Anfang eines neuen Zeitalters. Die alten Strukturen müssen zerstört werden, damit eine neue Ordnung daraus erwachsen kann. Ob in dieser neuen Welt die Mächte der Ordnung oder des Chaos dominieren werden, ist dabei völlig offen. Baldur und Hödur sind Arsen und repräsentieren damit zunächst die Kräfte der Ordnung, die in der Anfangsphase möglicherweise mehr gebraucht werden, als Chaos-Kräfte. Das Chaos ist nicht ganz tot, wir wissen nur nicht ganz genau, welche Repräsentanten hier Ragnarök überlebt haben. Bekannt ist, dass der Feuerriese Surtur Ragnarök überlebt, vermutlich gibt es noch weitere überlebende Riesen. Wann der Konflikt zwischen den Göttern und Riesen wieder anbricht, wissen wird nicht.

Zunächst wird die Welt bei Ragnarök im Chaos versinken und danach wieder als Neuschöpfung neu aufgebaut.

Wie im Kleinen so im Großen – auch wenn in unserem Leben alte Dinge und Strukturen verschwinden, so wird dadurch Platz für etwas Neues geschaffen – dies sollten wir uns immer bewusst machen.