Chaos und Ordnung

Ordnung und Chaos, Licht gegen Finsternis, Engel gegen Dämonen: überall in der Mystik bewegen wir uns zwischen diesen zwei beiden Polen. Was kann ich mit dieser Erkenntnis anfangen?

In nahezu jedem Mythos gibt es chaotische wilde Kräfte wie Drachen, Riesen, Dämonen oder Naturgeister die als Gegenspieler der ordnende Kräfte handeln. Ordnende Kräfte sind z.B. Götter, Engel, Devas oder Heilige. Oft sind diese Kräfte miteinander verwandt, wie z.B. die Riesen und Asgard-Götter der nordischen Mythologie. Während die Götter oft mit guten Attributen wie z.B. mit Schöpfung und Erschaffen assoziiert werden, werden die Kräfte der Dunkelheit oft mit Zerstörung, Boshaftigkeit und Sünde sowie Wildheit in Beziehung gesetzt. Ein Unwetter aus Sturm, Blitz und Donner entspricht etwas den Kräften des Chaos, Sonnenschein mit einem blauem Himmel und zwitschernden Vögeln den Energien der göttlichen Ordnung.

Der Mensch wird meistens in den Mythen ermuntert, sich mit den Kräften des Guten zu identifizieren und sein Leben entsprechend den Gesetzen der Ordnung auszurichten. Würde sich der Einzelne mit den Aspekten des Chaos identifizieren, so das Narrativ, würde pure Anachie und Gesetzlosigkeit herrschen. Das Machtvakuum würde sich augenblicklich nach dem Gesetz des Stärkeren ausrichten, Gewalt und Chaos würden vorherrschen, das Leben wäre nicht mehr sicher.

Die andere Seite der Medaille

Wenn man sich in der Mythologie die Kräfte der Ordnung einmal genauer anschaut, dann erkennt man oft Aspekte die eigentlich gar nicht so in die Schubladen „Gut und Böse“ hineinpassen wollen. Oft überlisten die guten Götter mit Verkleidung oder Verwandlung die negativen Kräfte. So prellten die Götter den Reifriesen mit einem Trick um seinen Lohn, die Göttin Freyja heiraten zu dürfen, nachdem er die gewaltige Mauer um Asgard herum in fast 6 Monaten errichtet hatte.

Auch im alten Testament finden wir viele negative Eigenschaften Gottes, z.B. Rachlust, grausame Bestrafungen und gewaltige Naturkatastrophen bei Ungehorsam seiner Untertanen und Anbeter.

Wenn wir das Konzept der göttlichen Ordnung ins Extreme steigern, dann leben alle Anbeter unter sehr strengen Regeln und Gesetzen, sind dabei völlig unfrei und unselbständig. Jeder Lebensbereich ist streng geregelt und kritisches Denken, der Sinn hinter Geboten und Eigenverantwortlichkeit haben einen nahezu ketzerischen Charakter. Kritik gegen die göttliche Ordnung ist hier pure Sünde. Eine extreme Herrschaft und Kontrolle der Kräfte der Ordnung bedeutet defacto das Fehlen jeglicher Freiheit und verhindert individuelle Entwicklung und Selbstverwirklichung.

Auf der anderen Seite bedeutet das extreme Chaos Unsicherheit, Wildheit und Gewalt, was ebenfalls die individuelle Freiheit (der Schwächeren) einschränkt und individuelle Entwicklung verhindert.

Der alternative Standpunkt

Was ist denn nun die bessere Wahl? Ordnung oder Chaos? Diese Entscheidung ist möglicherweise die zentralste Frage der Menschheit, das Erkennen zwischen Gut und Böse. Tatsächlich sind beide Konzepte gleichermassen negativ und schädlich. Vermutlich ist der Mensch am glücklichsten, wenn er sich selbst irgendwo zwischen den Kräften der Ordnung und des Chaos positioniert, je nach individueller Persönlichkeit mehr zu der einen Seite oder zur anderen hingezogen. Am Ende des Tages bedingen sich beide Pole und der Mensch findet sich irgendwo dazwischen wieder. Ob man sein Leben und seine Spiritualität eher an Elementen der Ordnung oder des Chaos ausrichtet hängt von der individuellen Lebenssituation und dem Bewusstsein ab. Die Position ist auch nicht unbedingt starr sondern wechselt dabei in Abhängigkeit von der individuellen Lebenslage.

Extreme in die eine oder andere Richtung wirken sich fast immer negativ aus. Leider ist die Welt nicht einfach nur schwarz oder weiss, gut und böse. Im Bösen finden wir in der Mythologie oft viel Weisheit und dem Menschen gegenüber gutwillige Aspekte und im Guten erkennen wir oft auch Kontrollzwang und zentralisierte Herrschaft.

Sich selbst zwischen den Polen irgendwo einzuordnen und ein gesundes Gleichgewicht zu finden ist oft nicht einfach. Vielleicht möchtest du für dich einmal die Frage beantworten: wo würde ich mich persönlich zwischen den Kräften der Ordnung und des Chaos eigentlich ungefähr einordnen? Die Antwort darauf kannst nur du selbst dir geben und bewerten.