Die Macht der Erkenntnis

Ist esoterisches Wissen mit Gefahren verbunden?
Um diese Frage zu klären, müssen wir zunächst einmal definieren, was Esoterik und Spiritualität überhaupt sind.

Um es gleich vorwegzunehmen: Wer naiv und blauäugig einem Guru oder Lehrer jedes noch so weit hergeholte Narrativ kritiklos übernimmt, für den kann Esoterik durchaus negative Konsequenzen haben. Einige Menschen suchen in der Spiritualität eine Art Realitätsflucht, weil sie Schwierigkeiten in der materiellen Welt haben – weniger aus einem Drang nach Erkenntnis.

Die Begriffe Esoterik, Spiritualität und auch Bewusstsein werden oft durcheinandergeworfen. Esoterik ist tatsächlich doppeldeutig und leider (mittlerweile) auch eher negativ besetzt. Einerseits bedeutet Esoterik (griech. esoterikos) „innerlich“ oder „nach innen gerichtet“. Damit ist die Innenschau gemeint – die Suche nach einer inneren Wahrheit, die Weckung des inneren göttlichen Funkens, die Verbindung mit der inneren Schöpfungskraft. Andererseits steht Esoterik auch für einen inneren Kreis, also einen geheimen Zirkel von Personen mit okkultem Wissen. Dabei kann es sich um Priesterschaften, Bruderschaften oder okkulte Verbindungen handeln. Das wahre Wissen wird vor der profanen Außenwelt verborgen und nur einem inneren Kreis von Eingeweihten symbolisch oder anschaulich vermittelt. Oft findet ein solcher Einweihungsprozess in Erkenntnisstufen statt, und erst nach jahrelanger Mitarbeit erhält man Zugang zu echtem okkultem Geheimwissen.

Spiritualität kommt von Spiritus – dem Geistigen. Hier steht der Glaube an eine verborgene, geistige Wirklichkeit hinter der sichtbaren Welt im Mittelpunkt. Spiritualität geht offener mit ihren Wahrheiten um, kennt keine Dogmen und stellt keine starren Regeln auf. Sie kommt ohne Mittler aus – ohne Priester oder eine religiöse Kaste. Somit ist Spiritualität quasi das Gegenteil von Religion („Zurückführung … zu Gott“), deren zentraler Kern genau diese vermittelnden Aspekte darstellt.

Die Wege verschiedener esoterischer und spiritueller Lehrarten, die sich oft von Religion und Glaube abgrenzen, sind überaus vielfältig und teilweise sogar widersprüchlich. Einige Lehrsysteme setzen auf okkulte Symbole, andere auf asketische spirituelle Praxis, wieder andere auf fernöstliche Meditation oder Bewusstseinstechniken. Als Werkzeuge dient alles Mögliche, das das Bewusstsein aus seiner normalen Alltagsroutine bringt: Trance, Trommeln, bewusstseinsverändernde Pflanzen und Substanzen, das Chanten von Mantren oder stundenlanges Tanzen und Ekstase. Viele Wege führen zur besonderen Erkenntnis – die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Menschen, die nach mehr Erkenntnis streben.

Im Zentrum der Esoterik und der Spiritualität steht jedoch die Erkenntnis. Der Weg zur Erkenntnis ist individuell – manchmal geführt, manchmal hochpersönlich. Hier die gemeinsame Schnittmenge der wichtigsten Aspekte von Esoterik und Spiritualität:

Egal ob die antiken Mysterienschulen, die Gnostikerinnen, die Kabbala oder die Alchemie – das okkulte Wissen wurde stets nur im geschützten Umfeld an vertrauenswürdige Personen von Generation zu Generation weitergegeben. Auch das Wissen des Tarot enthält viele hermetische Anspielungen und wurde in seiner Bildform über die Jahrhunderte gerettet – in seiner Kernbedeutung und Symbolik weitgehend unverfälscht.

Welche Gefahr geht von Menschen aus, die Zugang zur wahren Erkenntnis haben? Der Umstand, dass diese Erkenntnis unabhängig macht. Ein Beispiel: Zur Zeit Jesu lebte eine privilegierte Priesterschaft als Mittler zwischen der göttlichen Ebene und den einfachen Menschen. Während das einfache Volk hart arbeitete, genossen die Priester ihren Anteil an Abgaben, religiöse Sonderrechte – und mussten selbst kaum Hand anlegen. Ihre geistige Stellung sicherte ihnen ein bequemes Leben. Wenn nun viele Menschen erkennen, dass sie diese Priesterschaft gar nicht benötigen, gefährdet das den Reichtum und die Position dieser religiösen Kaste. Noch schlimmer: Ihre Regeln und gesellschaftlichen Vorgaben zum Zusammenleben und zur Moral könnten in Frage gestellt werden.

Welche praktischen Folgen hat der Zugang zu spiritueller Erkenntnis? Wenn ein Mensch unabhängig spirituell denkt und erwacht ist, ist er oft nicht so leicht manipulierbar. Er ist weniger in Angst gefangen, leidet seltener unter Schuldgefühlen und hofft nicht auf falsche Versprechen. Er trifft selbstbestimmtere Entscheidungen, ist weniger abhängig von materiellen Zwängen und äußeren Autoritäten. Er hat seine geistigen Gefängnisse verlassen und erlaubt sich, hinter die Strukturen zu blicken.

Diese Wahrheit und Erkenntnis kann jeder im Inneren finden. Doch dafür muss man zunächst erfahren, dass dieser Zugang zur Erkenntnis überhaupt existiert.

Das Erlangen eines spirituellen Bewusstseins verläuft manchmal sprunghaft (Erleuchtung / Erweckung), manchmal aber auch als jahrelanger Lernprozess. Ein spirituell erwachter Geist gewinnt Zugang zu mehr persönlicher Schöpfungskraft und kann sein Bewusstsein gezielt auf positive Werte und Ziele ausrichten. Er lernt, seine Ziele mit Erfolg zu manifestieren und nützliche von weniger nützlicher Information besser zu unterscheiden.

Ob der Eingeweihte das Wissen nutzt, um in der materiellen Welt mehr Fülle zu genießen, oder sich mehr in spirituelle Erkenntnisse und Erfahrungen vertieft – das bleibt jedem Suchenden selbst überlassen.

Wenn die Grenzen der Vorstellungskraft erst einmal die geistigen Illusionen der Dualität aufbrechen und hermetische Prinzipien plötzlich nicht mehr nur als schöne Zitate, sondern als kosmische Naturgesetze erkannt werden, beginnt eine Reise voller fortlaufender Erkenntnisse und neuer Möglichkeiten.